Die höchste Beweglichkeit besitzen wir wahrscheinlich als Kleinkind. In diesem Alter begrenzen lediglich passive Strukturen unsere Beweglichkeit. Mit zunehmendem Alter verlieren wir diese Beweglichkeit vermehrt, was auch an typischen Bewegungsmustern liegt, die unseren Alltag bestimmen. An allererster Stelle muss hier das Sitzen genannt werden. Es gilt mittlerweile unter Experten, als das neue Rauchen.
Das SAID-Prinzip, welches du schon aus dem Grundlagenkapitel Trainingsprinzipien kennst, gilt auch für unsere Beweglichkeit. Fertigkeiten, die wir nicht nutzen, werden wir verlieren. Für die Beweglichkeit bedeutet es ein Wegrationalisieren von großen Bewegungsamplituden, wenn wir diese in unserem Alltag nie brauchen und unsere Muskeln immer nur in einem Teilbereich ihrer möglichen Beweglichkeit benutzen.
Welche Faktoren beeinflussen nun deine Beweglichkeit. Es ist nicht ein einziger Aspekt, der hier eine Rolle spielt, sondern mehrere.
Der passive Bewegungsapparat und die knöchernen Strukturen bestimmt das Maximum unserer Beweglichkeit. Es lässt sich nicht leugnen, dass manche Personen Vorteile und eine bessere Beweglichkeit und andere Personen Nachteile und eine schlechtere maximal mögliche Beweglichkeit aufgrund ihrer knöchernen Strukturen haben. So wird es einer Reihe von Personen niemals möglich sein, einen Spagat zu schaffen, weil ihre knöchernen Strukturen im Hüftgelenk dies nicht zulassen. Auch durch Verletzungen und anschließende Vernarbung und Verknöcherung kann es zu einer geringeren maximalen Beweglichkeit kommen. Dies ist dann nur, wenn überhaupt, operativ zu beheben. Dass die passiven Strukturen jedoch für eine physiologisch ausreichende Beweglichkeit nicht ausreichen, ist nur in extrem seltenen Fällen festzustellen. Zu 99 % ist ein Abbau der Beweglichkeit durch falsche Bewegungsmuster die Ursache. Es gibt übrigens auch eine zu große Beweglichkeit, die ebenfalls Probleme mit sich bringt, da dann häufig die Gelenke nicht mehr ausreichend gestützt sind und vorzeitig und vermehrt verschleißen.
Besonders vier Strukturen in unserer Muskulatur bestimmen unsere maximale Beweglichkeit:
Zum einen das Golgi-Sehnenorgan. Du kennst du schon aus dem Grundlagenkapitel Krafttraining – Methoden und Planung. Es übermittelt den Spannungszustand unserer Muskulatur an das Nervensystem und reagiert auf die Dehnung der Sehne durch Kontraktion und greift ein, wenn die Spannung in der Sehne zu groß wird.
Zum anderen der Gegenpart dazu, die Muskelspindeln. Sie reagieren auf Dehnung der Muskulatur und sorgen für eine Kontraktion der Muskulatur, wenn du die Grenze deiner Beweglichkeit erreicht hast, bevor es zu Verletzungen am Muskel kommt. Die Empfindlichkeit dieser Muskelspindel ist allerdings steuerbar. Das bedeutet du kannst, durch ein häufiges Einnehmen einer bestimmten Position und ein Gewöhnen der Muskelspindeln daran durch Dehnung, die Sensibilität der Muskelspindeln heruntersetzen, sodass dieser Schutzmechanismus reflexartige Kontraktion erst später einsetzt.
Der dritte wichtige Part sind die Sarkomere. Sie sind die kleinste funktionelle Einheit in unserer Muskulatur. Viele Sarkomere hintereinander bilden sogenannte Myofibrillen und viele von Ihnen bilden wiederum deine Muskelfasern. Je mehr Sarkomere hintereinander hängen, umso länger kann der Muskel werden. Es hat sich herausgestellt, dass auch die Sarkomere dem SAID-Prinzip unterliegen. Der Körper ist also in der Lage, Sarkomere abzubauen, wenn sie nicht benötigt werden. Dadurch wird natürlich die maximale Beweglichkeit eingeschränkt, weil der Muskel gar nicht mehr so lang werden kann wie ursprünglich. Warum werden die Sarkomere abgebaut? Weil sie durch falsche Bewegungsmuster im Alltag nicht gebraucht werden, wenn der Muskel durch ständiges Sitzen zum Beispiel nie in seine insgesamt mögliche Länge gebracht wird. Die gute Nachricht ist, dass diese Sarkomere aber auch wieder aufgebaut werden können.
Zu guter Letzt spielen auch noch deine Faszien eine Rolle für deine Beweglichkeit. Sie sind so zu sagen die Hülle deiner Muskeln. Sie sind dafür verantwortlich, deine Muskeln in ihrer Funktion voneinander zu trennen, damit sie einander nicht behindern. Sie durchziehen jedoch als komplexes Geflecht deinen gesamten Körper. Außerdem sind sie in der Lage, sich aktiv anzuspannen und zu entspannen und können so die Beweglichkeit der Muskulatur einschränken. Sie enthalten darüber hinaus auch Nervenenden und können so Schmerzen verursachen. Wenn sie miteinander verkleben oder an Elastizität verlieren, wird ebenfalls die Beweglichkeit des Muskels behindert.
Was kannst du nun gegen diese Bewegungseinschränkungen Faktoren tun? Natürlich ein sinnvolles Beweglichkeitstraining, was wir dir im Folgenden vorstellen möchten.
Dehnung und Dehnmethoden
Das Dehnen lässt sich zunächst grob in vier Methoden einteilen. Aktives und passives Dehnen sowie statisches und dynamisches Dehnen. Diese lassen sich auch kombinieren und du kannst sowohl das aktive als auch das passive Dehnen jeweils statisch oder dynamisch durchführen.
Zudem unterscheidet man in aktive und passive Beweglichkeit. Die passive Beweglichkeit beschreibt die Fähigkeit, einen möglichst großen Gelenkausschlag, auch unter der Zuhilfenahme externer Kräfte einzunehmen. Zu externen Kräften zählen sowohl diverse Geräte als auch einfach die Schwerkraft. Der klassische Spagat ist z. B. ein Merkmal sehr hoher passiver Beweglichkeit.
Die aktive Beweglichkeit ist die Fähigkeit, eine Gelenkstellung unter aktiver Muskelkontraktion ohne Schwung einzunehmen.
In folgender Tabelle sind alle Dehnungsmethoden noch einmal zusammengefasst.
Methode | Ziel | Muskeltonus | Anmerkung/Durchführung |
Statisches Dehnen, passiv | Erhöhung der maximalen Gelenkreichweite
Senken der Reizschwelle der Muskelspindeln Entspannung Dauerhafte Verbesserung der passiven Beweglichkeit. | gesenkt | Die Dehnposition statisch halten. |
Statisches Dehnen, aktiv | Erhöhung der maximalen Gelenkreichweite
Kräftigung des Antagonisten Erhöhung der aktiven Beweglichkeit Senkung der Reizschwelle der Muskelspindeln | Gedehnter Muskel gesenkt
Kontrahierender Muskel erhöht | Die Dehnung wird durch Anspannung des Gegenspielers erreicht. Durch Kontraktion des Antagonisten wird die unwillkürliche Spannung des zu dehnenden Muskels reduziert und die Dehntoleranz erhöht. Antagonist des zu dehnenden Muskels wird trainiert. |
Dynamisches Dehnen passiv | Temporäre Erhöhung der Beweglichkeit
Erwärmung Erhöhung der Muskelvorspannung | erhöht | Leichte wippende Bewegungen, keine Zerrgymnastik! Passiv z.B. durch Ausnutzen der Schwerkraft oder Lehnen an Gegenständen. |
Dynamisches Dehnen aktiv | Sportartspezifische Erwärmung,
Temporäre Erhöhung der Schwingungsweite. Verbesserung der aktiven Beweglichkeit durch Kräftigung. | erhöht | Wippende Bewegungen durch aktive Muskelkontraktion. Nicht massiv mit Schwung arbeiten. |
Postisometrisches Dehnen
PNF | Dauerhafte Verbesserung der Beweglichkeit
Sarkomeraufbau Beeinflussen des Golgi-Sehnenorgans Erwärmung | gesenkt | Den zu dehnenden Muskel ca. 6 Sekunden intensiv anspannen und beim Lösen sofort die Dehnung verstärken.
Am besten an speziellen Geräten durchzuführen. Ansonsten gute Zusammenarbeit mit dem Partner notwendig, sonst herrscht erhöhte Verletzungsgefahr!
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Wir empfehlen zur Verbesserung der Beweglichkeit zwei Methoden zu nutzen.